Rotauge
Rotauge
Ein solcher Winterangeltag auf Rotaugen beginnt für mich immer schon am Abend vorher zu Hause und noch in der Wärme. Bedächtig wird im gemütlich geheizten Angelkeller die Ausrüstung dafür zusammengestellt. Hinzu kommen der dicke Parka und die mit Lammfell gefütterten Fäustlinge. Nach aussage des Wetterberichtes soll es morgen 10 Grad unter Null werden. Der Transportbehälter gesellt sich den übrigen Angelutensilien hinzu. Er soll auf der Hinfahrt die Thermosflasche mit der heißen Suppe, den Kanten Schwarzbrot und die gute Luftgetrocknete aufnehmen und auf der Heimfahrt mit Wasser und möglichst vielen Schuppenträgern für unseren Teich gefüllt sein. - Prüfend gleitet mein Blick über die ausgebreiteten Ausrüstungsgegenstände. Fehlt noch was? - Natürlich, beinahe hätte ich fast das Wichtigste vergessen: die im Kühlen stehende Madendose! Am besten stelle ich sie gleich in das kalte Auto, was ihre Insassen vor einem frühzeitigen Verpuppen und mich vor einer bösen Überraschung am Morgen bewahren wird. Nun noch schnell die warmen Anziehsachen herausgelegt und dann zu Bett! Der Wecker braucht jetzt im Winter ja nicht extra gestellt zu werden. Vor 8 Uhr wird es ja doch nicht hell.
Punkt 7.00 starte ich mein beladenes Gefährt und steuere es in Richtung Angelplatz am Main. Eine knappe Stunde Fahrzeit liegt vor mir. Die Straße ist trocken, schnee-und eisfrei, frei auch weitgehend von Verkehr. Das heißt, auf meiner rechten Seite nur. Auf der Linken kommt mir im Dunkeln die schier endlose paarige Scheinwerferreihe derer entgegen, die heute am Montag auf dem Weg zu einem neuen Arbeitstag sind, während ich einem freien Angeltag entgegenfahre. Das Gefühl der Freude, des Glücks und einer unbändigen Freiheit überkommt mich, gestärkt von dem Bewusstsein, diesen Tag auch redlich verdient zu haben nach dem anstrengenden Wochenende,an dem die anderen frei und die Möglichkeit hatten, ihre Freiheit sinnvoll zu nutzen. Ob sie, die jetzt an mir vorüberfahren, es wohl getan haben?!
Doch genug Davon! Meine Fahrt führt mich aus dem Industrieballungszentrum hinaus gen Osten, dem langsam immer heller werdenden Horizont und dem geliebten Main zu. Orangefarbenes Licht kündigt den Sonnenaufgang an. Ich halte genau darauf zu. Die noch schneebedeckten Höhenzüge des Spessarts, vor denen mein Fluss liegt, sind im fahlen Morgenlicht bereits auszumachen. Bei der nächsten Ausfahrt muss ich die Autobahn verlassen. Kurz darauf werde ich schon am gegenüber liegenden Ufer meinen Angelplatz erkennen können. Eine kribbelnde Spannung erfasst mich. Wir d der fängige Platz dort, wo der warme Auslauf des Klärwerks die Strömungsverhältnisse im Flusslauf verändert, auch frei sein?! Gespannt spähe ich hinüber und atme erleichtert auf: weder Auto noch Angler ist dort zu entdecken. Jetzt schnell die restlichen Kilometer des Wegs zurückgelegt: durch das alte Städtchen, über die schmale Brücke zur Abzweigung von der Hauptstrasse, den holprig gefrorenen Feldweg entlang - und schon bin ich da!
Meine Ankunft treibt etwa gut 100 Blässhühner und Stockenten in die Flucht, die hier auf Nahrungssuche waren. Beim entladen des Angelgeschirrs merke ich, dass es gar nicht so kalt ist, wie ich angenommen hatte. Nur knapp unter Null dürfte es sein und, was noch schöner ist, es weht kein Wind.
Mitten in meine dankbaren Überlegungen hinein höre ich auf einmal ein Auto langsam den vereisten Weg am Fluss entlang fahren und dicht hinter mir halten. Es ist ein anderer Angler, den ich vor Tagen schon einmal hier angetroffen habe. Ich weiss, er hat es auf einen Hecht abgesehen. Nach einem mürrisch gemurmelten Gruß packt er sein Gerät aus,stellt sich neben mich und schickt einen kleinen Köderfisch an der Posenangel just auf dieselbe Reise, die meine Friedfischpose nun schon seit gut einer Stunde unternimmt. Natürlich fühle ich mich dadurch gestört, lasse es aber schweigend geschehen. Geduldig höre ich mir auch seineständigen Nörgeleien an dem seit Tagen schlechten Beißverhalten der Hechte hier an. es klingt so, als ob sie die Schuld an seinem Misserfolg trügen. Eine solche Begleitung beim Angeln hatte ich mir für heute ja nicht gerade gewünscht! Glücklicherweise merkt er aber dann doch selbst, dass seine Raubfischangel meinen Friedfischversuchen im Wege ist, und platziert sie und sich ein Stück weiter flussab und versucht sein Glück dort. Aber schon kurz darauf kommt er schimpfend zurückgestapft, weil er seinen Blinker im Strom an einem Hindernis verhängt und dann abgerissen hat, und holt sich maulend einen neuen. Erleichtert sehe ich ihn wieder davon marschieren.
Kaum habe ich den „Dickkopf“ dem Rotauge im Hälterungsnetz zugesellt, als auch schon mein unzufriedener Hechtangler abermals zurückkehrt und sich bei mir darüber beschwert, dass ein weiterer Hänger ihm statt des ersehnten Hechtes lediglich einen aufgebogenen Drilling beschert hat. Außerdem sei heute sowieso ein solches „Mistwetter“, bei dem man besser daheim geblieben wäre. Ein Blick zu dem immer strahlender werdenden Himmel zeigt mir als dem heute schon vollauf zufriedenen Friedfischangler dagegen gerade das Gegenteil. Bald wird sogar die Sonne die letzten Nebelschleier überwunden haben! - Hinter mir wird es wieder ruhiger. Der Herr „Kollege“ ist mit einem neu angebundenen Drillingshaken wieder auf Hechtjagd gezogen. Hoffentlich hat er diesmal mehr Glück, damit das ewige Gemecker aufhört.
Das Wetter wird schöner. Sonnenschein spiegelt sich auf der nun wieder glatten Wasserfläche. Meine Schwimmerspitze ist nun immer deutlicher zu erkennen. Trotzdem folgen auch bei mir keine Bisse mehr. Leichtes Eistreiben herrscht auf dem Fluss, und es gibt immer ein knirschendes und scharrendes Geräusch, wenn zwei Eisplatten in einem Strudel an oder übereinander geraten. Jedes mal schaue ich erschrocken in die Richtung, aus der das unerwartete Knirschen kommt. Doch plötzlich vernimmt mein Ohr andere, bekanntere Töne:mit dem hellen „tiet, tiet“, das ich hier schon so oft gehört habe, kündigt sich das Nahen eines Eisvogels an. Wo ist er? - Da, links von mir dicht am Ufer und knapp über der Wasseroberfläche kommt er heran geschwirrt - direkt auf mich zu! Ich bleibe wie erstarrt stehen. Dennoch bemerkt er mich und schert etwa 10 m vor mir zur Flussmitte hin aus, passiert in gleichem Abstand meinen Standort, so dass ich in aller Ruhe und Deutlichkeit sein blaublitzendes Gefieder, die rostbraune Unterseite,das helle Band zum Nacken hin und den langen spitzen Fischfängerschnabel bewundern kann, kehrt dann zum Ufer zurück und verschwindet schließlich im entfernten Busch- und Schilfbestand. Kurz hinter ihm folgt ein zweiter, wird aber von mir als dem Überraschten durch meine erneuten Bewegungen bis hin zum anderen Flussufer abgedrängt. Deutlich kann ich seinen Schwirrflug bis zum Gehölz der anderen Flussseite verfolgen. Nur einige Minuten später werde ich rechts von mir starker Wellenbewegung gewahr. Sollte hier ein starker Fisch rauben?! Gespannt schaue ich hin! Aber nein, ein Zwergtaucher erscheint einige Meter von dem Platz entfernt, an dem er die erste Wellenbewegung verursacht hat . Als er mich in so kurzer Distanz erblickt, taucht der kleine braungraue Kobold schnell wieder ab.
Ein strammes Rotauge ist es, 30 cm lang und gute 350 g schwer. Noch einmal tritt sicherheitshalber der Kescher in Aktion, und dann betrachte ich mir meinen Fang einmal aus der Nähe: den Kopf mit den rötlich umrandeten Augen, die smaragdgrüne Nackenpartie, der gewölbte, marineblau schimmernde Rücken, die silbernen Flanken, eingefasst von hellrot leuchtenden Brust-, Rücken-, Bauch- und Afterflossen. Lediglich die geteilte Schwanzflosse geht leicht ins Schwärzliche. Und mein Fazit über das Rotauge lautet: wenn es also schon ein Alltagsfisch sein sollte, dann aber einer im Festtagsgewand.