Karpfen II
Karpfen II
Am 19. Mai 1975 stand ich früh am Morgen - die Kirchturmuhr hatte gerade vier geschlagen - an unserm Teich. Trotz des frühen Morgens und des leichten Frühnebels über dem Wasser war es schon ziemlich warm. Überhaupt hatte in den letzten Tagen und Wochen eine derartige Hitze geherrscht, dass ich es vorzog, lieber in der relativen Kühle des frühen Morgens als am Nachmittag oder abends fischen zu gehen. Ich hatte noch gar nicht ausgepackt und genoss, auf dem Steg stehend, die frühmorgendliche Stille. Plötzlich fing der Wasserspiegel vor mir erheblich an zu schwanken. Erstaunt blickte ich hinein und entdeckte darin vier bis fünf große Spiegelkarpfen, die rasch an mir vorbei in den Kalmusbestand am rechten Ufer zogen. Und schon ging dort der Tanz los. Breite, blau-schwarze, mit goldschimmernden Schuppenreihen gesäumte Karpfenbuckel tauchten dicht aneinander gedrängt zwischen den Pflanzenstängeln hervor, während kräftige Schwanzruder das Wasser aufpeitschten. Jäh war die friedliche Morgenstille durch lautes Klatschen und Plantschen unterbrochen. Fasziniert schaute ich dem Treiben der großen Fischleiber zu und begriff, dass es sich hierbei um nichts anderes als eine Karpfenhochzeit handelte. Die „Dicken“ laichten ab.
Nach einem weiteren bewundernden Blick über die kompakte Karpfengestalt mit ihrer intensiven, kontrastreichen Färbung hob ich den nach Luft Schnappenden vorsichtig wieder ins Wasser, wo er sich den inzwischen weiter im Schilf schlagenden und platschenden Artgenossen wieder anschließen konnte. Sein Aufenthalt auf dem Trockenen war von so kurzer Dauer gewesen, dass er, wie ich hoffte, in dieser zeit nichts Wesentliches versäumt hatte.
Es war schön zu wissen, dass unser Teich eine solche Anzahl starker, laichreifer Karpfen aufwies, und für den Spätsommer nahm ich mir vor, zumindest einen von ihnen zum Ziel meiner Fischwaid zu machen.
Aber nicht nur Karpfenhochzeiten konnte ich hier beobachten, auch andere Tierarten kamen und kommen zu diesem Zweck an unser Gewässer. Jedes Jahr Ende März oder Anfang April, wenn die Frühjahrssonne das letzte Eis geschmolzen und das Uferwasser schon leicht erwärmt hat, treffen aus den umliegenden Wiesen und Feldern unzählige Erdkröten ein und bevölkern zum Laichen die Uferpartien. In dieser Zeit sieht man ständig Bewegung im Wasser. Zahllose Ringe bilden sich auf dem Wasserspiegel. Der Tisch für Freund esox ist überreichlich gedeckt. So plötzlich wie sie gekommen sind, verschwinden nach vollzogenem Laichgeschäft diese Amphibien dann aber auch wieder. Und noch eine dritte, weitaus seltener zu beobachtende Hochzeit konnte ich an unserem Teich miterleben: eine Kuckucksbalz.
Am 1. Mai des Jahres 1976 saß ich gegen 5 Uhr früh, auf Rotaugen angelnd, am Wasser in guter Deckung neben einem Weidenbusch in einer Kuhle der Uferböschung, als in der Ferne der angenehme Ruf eines Kuckucks erklang. Erfreut über diesen sicheren Frühlingsboten, der jährlich wiederkehrend den Sieg des Frühlings über den Winter und damit für uns Angler das Ende der “Kalten-Finger-Zeit“ und den Beginn reicherer Angelbeutetage ankündigt, hob ich den Kopf und lauschte hingebungsvoll den wiederholten Kuckucksrufen. Sie schienen näher zu kommen, und bald wurde mir klar dass es sich um die eines Pärchens handeln musste, denn zwischen dem vertrauten, wohlklingenden „kuckuck“ erscholl auch immer wieder das heiser kichernde „hachhachhach“ des treibenden Kuckuckmännchens. Dieser ansonsten wenig bekannte Balzruf war mir deshalb so vertraut, weil dereinst in alter passionierter Jäger aus meiner Gemeinde, der mich in die unser Dorf umgebenden Wald- und Feldreviere eingeführt hatte, mit eben diesem - täuschend ähnlich nachgemachten - Lockruf einmal einen Kuckuck bis auf zwei Meter Entfernung an unseren Hochsitz herangelockt hatte. Die Vogelstimmen klangen inzwischen so nah, dass ihre Urheber eigentlich schon zu sehen sein mussten. Gerade als ich den Kopf nach ihnen umwandte, flogen dicht hintereinander ein blaugrauer und ein rostroter Vogel mit länglich-spitzen Schwingen und gebänderten Unterseiten über mich und die Wasserfläche hinweg, dabei eben jene charakteristischen Balzrufe ausstoßend. Das Kuckuckspaar baumte im Geäst der gegenüber stehenden Erle auf und vollzog dort den für seine Arterhaltung wichtigsten Teil seiner Flitterwochen.
Unbeweglich sah ich diesem selten beobachteten Naturschauspiel zu, um das mich wohl mancher Mitangler beneiden wird, - es sei denn, er interessiere sich nur stur für den Fang seiner Fische und für sonst nichts in der ihn umgebenden Natur.
Doch nach diesem kleinen Ausflug in das Liebesleben anderer Tierarten nun wieder zurück zu den Fischen, genauer gesagt, zu den Karpfen in unserem Teich! Ihnen stellte ich, nachdem ich sie beim Laichen beobachtet und - wie berichtet - zum Teil etwas dabei gestört hatte, ab August mit mehr oder weniger ernst zunehmenden Versuchen nach.
In der Technik des Karpfenfanges war ich trotz mancher Erfolge noch nicht allzu sehr bewandert, fütterte noch keine Plätze über längere Zeiträume hinweg an und probierte auch sonst noch keine besonders ausgetüftelten Praktiken aus. Meist warf ich schlicht einen Zwiebackteigknödel in etwa Walnussgröße oder einen dicken Tauwurm am 4 er oder 6 er Haken möglichst in die Nähe eines Krautfeldes, wobei der Schwimmer so eingestellt war, dass er leicht schräg liegend verriet, dass der Köder auf Grund lag. Sicher war dies mehr oder weniger nur eine Art Lotterie-Spiel, denn ich war so darauf angewiesen, dass ein Karpfen bei seinem gründelnden Umherstreifen zufällig auf meine Teigkugel oder meinen Wurm stieß. In jener Zeit machte ich mir aber nur wenig Gedanken darüber, zumal ich auf diese Weise manchmal mit kleineren Karpfen erfolgreich war.
Eines Nachmittags Ende September - ich hatte kaum 10 Minuten vorher den Teigköder ausgeworfen und die Rute gegen die Stegbrüstung abgelegt - alarmierte mich plötzlich das laute Knarren ihrer Rolle, während die Gerte selbst, vom untersten Rutenring gerade noch gehalten, in der Waagrechten auf dem obersten Brüstungsbalken hin und her wippte. Die 35 er Schnur zog kräftig ins Kraut. Mit einem Sprung war ich bei meinem Gerät und bewahrte es durch rasches Zugreifen davor, ins Wasser gezogen zu werden. Ein Anschlag war nicht mehr notwendig. Mit Gewalt gelang es mir, den Fisch aus dem Krautbett heraus zu ziehen. Sofort schoss er, als er sich im freien Wasser fühlte, auf die nächste, gegenüber liegende Krautbank zu. Aber nun war ich am kräftigen Gerät Herr der Situation und des Drills, wendete ihn und ließ ihn sich im Freiwasser austoben, wobei ich alle seine wiederkehrenden Ausreißversuche in das vielleicht rettende Pflanzendickicht verhinderte.
Als er schließlich tief im Keschersack ruhte, sah ich, dass ich einen der stattlichen Hochzeitsteilnehmer vom Mai gefangen hatte. Er wog bei 55 cm Länge ganze 3760 g. Ich hatte aber neben diesem gut 7 1/2 Pfünder und dem damals Gekescherten von ca. 8 Pfund noch etwas stärkere Exemplare vorbeiziehen sehen. Auf ihren Fang war ich künftig aus. Allein,meine bisherige Taktik und Technik waren dazu wohl nicht geeignet. Jedenfalls gelang mir ein weiterer Treffer damit nicht. Ich musste mich umstellen und begann mit der Methode des regelmäßigen Anfütterns. Dabei machte ich eines Tages eine entscheidende Entdeckung.