Hecht III
Hecht III
Gleich am nächsten Morgen zog ich Erkundigungen über eine gute Präpariermöglichkeit ein, denn, dass zumindest der Kopf des Gestreckten erhalten bleiben sollte, das stand völlig außer Frage. Mein damaliges Angelfachgeschäft übernahm diese Aufgabe, während der stattliche „Rest“ des Fisches bei einem feierlichen, ebenfalls bei Fachleuten in Auftrag gegebenen Mahl mit allen Mitanglern und am Gewässer Beteiligten verzehrt wurde.
Es sollte indes lange, fast zu lange,dauern, bis ich wieder einmal ein Exemplar dieser Art zu Gesicht bekommen sollte. Ich sehnte mich danach - und wer würde das als Angler nicht tun, nachdem er einen solchen Anfangserfolg zu verzeichnen gehabt hätte - wieder einmal auf Hecht angeln zu dürfen. Fast zwei Jahre gingen ins Land, in denen ich mich vergeblich um eine Erfolg versprechende Hechtangelgelegenheit bemühte, und ich muss gestehen, dass diese Zeit für mich fast wie eine Krankheit war. Aber dann tat sich plötzlich über einen Bekannten eine solche Möglichkeit auf. jener hatte einen Freund,der selbst begeisterter Angler, dazu mehrfacher Meister im Wettfischen und vor allem Besitzer oder zumindest Pächter eines langen Grabenbruchs parallel zum Rhein gegenüber von Oppenheim ist. Diesem hatte er wohl von meiner „Hechtkrankheit“ erzähl und jener Verständnis dafür gezeigt, denn eines Tages erhielt ich eine Einladung an dieses mit Hechten angeblich so reich besetzte Gewässer.
Man schrieb den 4. Mai, und es war ausgerechnet zum ersten Mal im Jahr richtig heiß. Wir trafen um die Mittagsstunde dort ein, wo wir vom Gewässerinhaber und zwei weiteren Angelgefährten bereits erwartet wurden. Etwas skeptisch musterte ich den etwa 15 m breiten, dafür aber ca. 100 m langen, dicht von Schilf, Röhricht, Weidenbüschen und hohen Erlen umsäumten Graben. Doch alle Zweifel auf Hechterfolg waren beseitigt, als mir einer der Mitangler das Polaroidfoto eines 15 Pfund schweren Hechtes zeigte, den er zwei Tage zuvor hier gelandet hatte. Glücklicherweise konnte ich mit einer Aufnahme meines fast 17 3/4 Pfünders kontern und erntete Lob und Anerkennung dafür.
Trotz der frühen Mittagsstunde packte ich sogleich mein Gerät aus und begann mit der Köderfischstipperei. Nachdem ich zwei handlange Rotaugen erwischt und in einer alten Gießkanne als Behälter untergebracht hatte, begab ich mich mit meinen Utensilien an den mir zugewiesenen Platz. Es war eine schmale Lücke zwischen zwei Weidenbüschen,deren zweige so dicht beieinander standen, dass das Auswerfen von vorne herein Schwierigkeiten erwarten ließ. Die anderen, besseren Angelplätze - vor allem der in der Nähe des versunkenen Erlenstammes, an dem jener 15-Pfünder von vor zwei Tagen gebissen hatte - waren von den Kollegen besetzt. Sie angelten zwar nicht auf Hecht, sondern hatten es mit extrem feinen Gerät auf Friedfische abgesehen. Es dauerte auch gar nicht lange, bis die ersten Rotfedern - die größten, die ich bis dahin gesehen hatte - in ihre bereit gehaltenen Kescher plätscherten.
Von ihren Erfolgen ermutigt, köderte ich das erste Rotauge an und warf es - ja, nicht in das vor mir liegende Wasser sondern ins Geäst des Busches zu meiner Rechten. Schnell blickte ich mich um, aber keiner der Meisterangler hatte wohl etwas von meinem Missgeschick bemerkt. Jedenfalls fütterten sie weiterhin seelenruhig mit ihrem Spezialteig an und zogen Fisch auf Fisch an Land. Mir dagegen wurde beim Entwirren von Köderfisch, Zweigen, Schnur und Blei und auch wegen der zunehmenden Schwüle immer heißer. Um nicht aufzufallen, wollte ich mich beeilen, was den Erfolg erzielte, dass mein Köderfisch Nummer 1 aus schlitzte und ins Wasser fiel. Nun ja, ich hatte ja noch Nummer 2, aber als der mir nach knappen 10 Minuten Wasserfahrt unrettbar verloren im Wurzelwerk der Nachbarerle festsaß, war ich bereits schweißgebadet. Mit Gewalt konnte ich den Drilling aufbiegen und lösen. Nun hatte ich keinen Köderfisch mehr. So unauffällig wie möglich schlich ich zurück zu meiner Stippangel, erreichte mit ihr auch unangefochten und von keinerlei peinlichen Fragen behelligt eine entfernte kleine Bucht, in der ich knapp unter der Oberfläche Bewegung und vielfaches Aufblitzen beobachtet hatte. Kleine Rotfedern standen hier, und nachdem ich den Teigköder mehrfach verkleinert hatte, fing ich ein etwa 10 cm langes Exemplar, dem bald darauf ein zweites in die mitgenommene Gießkanne hinein folgte.
Mittlerweile war die feuchte Hitze fast unerträglich geworden. Dazu stachen die Schnaken wie toll. Als ich zu meinem wenig glücklichen Angelplatz zurückkehren wollte, bemerkte ich, dass meine Angelkollegen ihre Plätze verlassen hatten. in der ferne hörte ich sie beider Hütte reden, wo sie wohl der heißen Witterung mit einem kühlen Schluck begegneten. Einen Moment lang hätte ich es ihnen am liebsten nachgetan, aber ich war ja hier, um nach zwei Jahren endlich wieder einen Hecht zu fangen! Und so nutzte ich die Gunst des Augenblicks und brachte mein Gerät zu einem günstiger erscheinenden, fast hindernisfreien Angelplatz. Kurz darauf stand meine dicke, rote Hechtpose dort im dunkelgrünen Wasser, von den spärlichen Bewegungen der kleinen Rotfeder am neu angewundenen Drilling kaum beeinträchtigt. Wahrscheinlich war auch ihr die Hitze zu groß. Ich setzte mich ins Gras der Uferböschung, starrte auf den Schwimmer und fing an zu dösen. Eine ganze Zeit verging so.
Urplötzlich wurde die Pose mit einem Ruck nach unten gerissen, verhielt dort einen Moment, zuckte noch einmal und zog dann torkelnd, meinen Blicken entschwindend, ins Tiefe. Im Nu war ich hellwach: Hecht! Aufgeregt klopfte mein Herz. Nur jetzt keinen Fehler machen! Die Schnur spannte sich etwas. Schnell gab ich lose Klänge nach. Aber sehr weit zog mein unsichtbarer Gegner nicht. Nach wenigen Metern Schnurlauf hielt die 35 er an und fiel vor der Rute in sich zusammen. Wie lange sollte ich mit dem Anschlag warten, war meine bange Frage. Verlieren wollte ich meinen zweiten Hecht im Leben auf keinen Fall. Andererseits sollte er auch nicht zu tief schlucken, wollte ich doch vor meinem freundlichen Gastgeber als waidgerechter Fischer gelten. Im Stillen zählte ich schnell bis hundert, wie ich es irgendwo einmal gelesen hatte, nahm lose Schnur auf, bis ich Widerstand fühlte und hieb an. Der Anhieb saß! Widerstrebend zwar, dem starken Gerät aber unweigerlich folgen müssend, kam der Unbekannte näher, saß einen Augenblick lang im unterseeischen Weidengeäst fest und zeigte sich dann erstmals, unwillig gekrümmt, vor dem aufnahmebereiten Kescher. Endlich sah ich wieder einmal das entenschnabelförmige Maul und die längliche, weißgetupfte, gelbgrüne Gestalt eines Hechtes, wenn auch unvergleichlich kleiner und schwächer als mein starker Kämpfer von damals. Er wog bei einer Länge von 55 cm nur ein gutes Kilogramm, von meinem Gastgeber und seinen Gefährten nur verächtlich „Halbstarker“ genannt. Für mich aber war es endlich wieder ein Hecht nach so langer, entbehrungsreicher Wartezeit, und ich war froh darüber. Vorsichtig, um ihn nicht zu verletzen, löste ich den Drilling,der knapp im Maulwinkel saß, und freute mich daran, wie mein zweiter esox im Setzkescher langsam wieder zu Leben kam.
Wohl um zu beweisen, dass sein Gewässer entschieden bessere Hechte beherbergte, stieg der Eigner anschließend mit einer Wathose bekleidet ins Uferwasser, wo er, bis zum Bauch darin watend, einen Spinnköder auswarf und ihn langsam durch den überfluteten Schilfgürtel einholte. Nur kurz darauf rief er „Biss!“, schlug an und hatte ebenfalls einen der „Halbstarken“ am Haken. Auch dieser wanderte in meinen Setzkescher.
Von Mai bis Oktober ist eine lange Zeit, besonders dann, wenn man ungeduldig auf eine Einladung zum Hechtangeln wartet. Endlich teilte mein Bekannter mir mit, dass ich am 25. des goldenen Monats an jenem Grabenbruch wieder willkommen wäre. Wiederum die Mittagszeit war das Treffen dort am Wasser vereinbart. Aber wie hatte es sich verändert! Sein hinterer Teil war eigentlich gar keine Wasserfläche mehr sondern nur noch. ein wüstes Geschlinge von unzähligen Wasserpflanzen. Das gelb gewordene Schilf umsäumte hoch und trocken stehend beide Uferränder. Nur im vorderen Drittel des Grabens stand tief abgesenkt das verbliebene Freiwasser.
Trotzdem - es war ein herrlicher Herbsttag . Das Herbstlaub leuchtete golden im Sonnenlicht eines tiefblauen Himmels. Binnen kurzem waren etliche Rotaugen als Köderfische gefangen, die Ruten bestückt und etwa zehn Meter voneinander entfernt ausgeworfen.
Eine halbe Stunde etwa mag vergangen gewesen sein, als meine Pose anfing leicht zu holpern und unterzugehen. „Das ist sicher nur der Köderfisch!“, dachte ich , doch mein Gastgeber sagte mit fester Stimme:“Hecht!“. Nun, der Schwimmer kam auch nicht wieder an die Oberfläche. Man sah ihn aber deutlich unter Wasser in Richtung linkes Ufer weiterwandern. Dort verharrte er. Vom Hecht selbst war zunächst nichts zu sehen. Es hieß also „Warten!“. Nahe dem Ufer befand sich ein pflanzenfreier, großer Fleck, der sich aufgrund seines hellen Kiesbelages deutlich vom übrigen Untergrund abhob. da hinein schoben sich plötzlich deutlich zu erkennen Kopf und Leib eines, nun ja, wieder nur „halbstarken“ Hechtes. „heraus mit ihm!“, war der knappe Kommentar meines Nebenmannes. Gehorsam kurbelte ich den Kleinen an Land, befreite ihn vom Haken und brachte ihn im Setzkescher unter. Wieder nur ein 2 - 3 Pfünder!
Mit dem Gedanken, dass größere Exemplare wohl doch nicht oder aber zumindest recht selten in diesem Gewässer anzutreffen seien, warf ich erneut aus. Und richtig! Kaum waren zwanzig Minuten vergangen, da begann dasselbe Spiel von neuem. Wieder geriet der Schwimmer ins Torkeln, sank ab und bewegte sich auf Unterwasserfahrt langsam wieder auf jenen hellen Fleck zu. Aber so sehr ich meine Augen auch anstrengte, diesmal konnte ich nirgendwo einen Hechtumriss in der Tiefe erkennen. - „Ach, was soll‘s,“ dachte ich, „es wird doch wieder nur so ein ‚Halbstarker‘ sein!“ - Schnur aufgenommen und angeschlagen war eins! Aber hoppla, was war das denn?!
Ich hatte das Gefühl, an einem Baumstamm festzusitzen, in den aber gleich darauf Leben und Bewegung kam. Die starke Teleskoprute bog sich ehrfurchtsvoll durch, und die Schnur begann zu singen. Das war kein „Halbstarker“, ganz gewiss nicht! Meine Begleiter hatten das bereits auch schon bemerkt und gaben ihre entsprechenden Kommentare dazu ab.
der Hecht schoss kraftvoll in die Gewässermitte, wo er mit Schütteln und Drehen versuchte, den Haken loszuwerden. Ich hielt ihn an straffer Leine, jederzeit bereit, Schnur nachzugeben. Als seine Bemühungen im Freiwasser nichts fruchteten, machte er eine lange Flucht zum gegenüberliegenden Ufer hin, wo ich ihn aber des Schilfes wegen zur Umkehr zwang. Einen Moment lang schien er, eine Pause einlegen zu wollen, und ich konnte ihn, Schnur gewinnend, ein gutes Stück an mich heranziehen. Die rote Pose erschien an der Oberfläche, dann das Blei, das Vorfach und schließlich kurz auch der Hecht selbst. Welch einen prächtigen Fisch hatte ich da gehakt! Sich kräftig schüttelnd und erneut Schnur nehmend, verschwand er wieder in der Tiefe. Aber jetzt hatte ich ihn schon in der Nähe meines Standplatzes. Eine steile Holztreppe führte dort von der Uferböschung zum Wasser hinunter. Mit der hochgehaltenen Rute in der einen und dem ausgefahrenen Kescher in der anderen Hand stieg ich vorsichtig hinab. Unten angelangt, verkürzte ich durch Pumpen und Kurbeln die Schnurlänge, tauchte den Kescher unter und zog den ermatteten Fisch näher heran. Kurz vor dem Kescherrand aber überlegte er es sich anscheinend noch einmal anders, denn er schlug wild mit dem Leib umher, dass das Wasser weiß aufspritze, und ich zum ersten Male eigentlich während dieses Drills Angst bekam, ich könnte ihn so kurz vor der Landung doch noch verlieren. Noch einmal also musste ich ihm seinen Willen zu einer letzten, allerdings nur mäßig weiten, Flucht lassen, die ihn jedoch offensichtlich so sehr erschöpfte, dass er sich anschließend widerstandslos über das Netz führen ließ. Wegen seiner Länge hatte ich etwas Mühe, ihn auch darin unterzubringen. Seines Gewichtes wegen musste ich die Angel zur Seite legen, um mit beiden Händen zupacken zu können. Als ich mit dieser angenehmen Last die Treppe emporstieg, empfing mich bereits der Beifall meiner Zuschauer.
Einen herrlichen Fisch trug ich im Netz, - nicht ganz so groß wie mein allererster Hecht, aber doch
ebenso kraftvoll wirkend und schön gezeichnet. Ausgestreckt auf den Planken des Stegs maß das Band stolze 90 cm. Die Waage blieb bei genau 4770 g stehen. Ich war wie in einem Freudentaumel. Wieder einmal hatte ich einen Hecht erbeutet, von dem viele Angler nur träumen können. Welch ein Anglerglück hatte ich doch!