Doebel

 

So richtig aufmerksam auf den Döbel wurde ich eigentlich erst während des Sportfischerlehrgangs, den ich vor vier Jahren besuchte. Nicht, dass wir ihn dort etwa gefangen hätte, - geangelt wurde dabei fast überhaupt nicht, dafür wurden wir von morgens bis abends mit Theorie vollgestopft - aber es hing damals an der Wand des Unterrichtsraumes eine große Fischtafel, auf der ich unter anderen auch die wohlgeformte und fast drehrunde Gestalt des „leuciscus cephalus“ mit seinem netzartigen Schuppenmuster, dem dicken Kopf mit der weiten Maulspalte und der rötlich gefärbten, nach außen hin abgerundeten Afterflosse bewundern konnte. Natürlich hatte ich sein Bild früher schon oftmals in den Fachzeitschriften und verschiedenen Bestimmungsbüchern gesehen, aber es war mir zu diesem Zeitpunkt noch völlig unklar, wo dieser interessante Fisch anzutreffen sei. Mein Interesse an ihm wurde noch dadurch gesteigert, dass mein heutiger Angelfreund und damaliger Seminar-Mitbesucher mir erzählte, dass es im Main, dort, wo er angele, Döbel gäbe und er selbst - wenn auch noch nicht sehr oft - welche gefangen hätte. Obwohl ich seinen Berichten mit einiger Skepsis begegnete, weil ich mir einfach nicht vorstellen konnte, dass ausgerechnet der Main, den ich von Frankfurt her nur als eine recht trübe Brühe kannte, diesen prachtvollen Fisch beheimaten sollte, sah ich doch ungeduldig dem Ende des Seminars und einem ersten versprochenen gemeinsamen Angeln am Main entgegen.

Endlich war es dann soweit. Den Sportfischereischein in der Tasche, die Erlaubniskarte besorgt, fuhren wir dem neuen Angelgebiet zu. Wir erreichten den Main dort, wo er schon lange Kilometer nicht mehr hessisch sondern bereits bayrisch ist. Ein Feldweg führte uns am baum- und buschbestandenem Ufer entlang, bis wir zwei ausreichend breite Lücken im Uferbewuchs erreicht hatten. Hier packten wir aus, fütterten an, machten die Ruten klar und warfen die Madenköder vier bis fünf Meter vor uns aus. Gespannt beobachteten wir das langsame Sich-Aufrichtender schlanken Stachelschweinposen und wie sie dann gemächlich an uns vorbei nach rechts in der Strömung fortgetragen wurden. Nachdem sie so weit abgetrieben waren, dass das Auge sie nur noch mit Mühe wahrnehmen konnte, holten wir sie wieder ein, um erneut auszuwerfen. Dicht über Grund zogen unsere für Fische schmackhaft gemachten Haken dahin. Wenn sich einer der Unterwasserbewohner daran zu schaffen machte, merkten wir es daran, dass die Posenspitze plötzlich verharrte und dann schnell absank.

Meine erste Beute am Main bestand aus Rotaugen und Güstern, über die ich mich damals riesig freute,weil jeder, wenn auch noch so geringe Erfolg an einem neuen Angelgewässer für mich doppelt und dreifach zählt. Ich war unter die Flussangler gegangen!

Zu den Rotaugen und Güstern meines ersten Angeltages am Main gesellten sich bald Gründlinge, Kaulbarsche, Hasel und kleine Brachsen bei darauf folgenden Angelgelegenheiten. Döbel dagegen fingen wir keine. Manchmal jedoch hatten wir bei unserer Stippangelei merkwürdige Hänger. Blitzschnell verschwand die Pose, dem Anhieb setzte sich schwerer Widerstand entgegen, bis urplötzlich Schwimmer, Wirbel, Vorfach, Blei und Haken wie losgelassen aus dem Wasser herausschnellten, anstatt wie bei einem gewöhnlichen Hänger einfach fest unten zu bleiben oder wenigstens versunkenes Geäst oder Algenfetzen mit ans Tageslicht zu bringen. Was war das? War die Angel einfach nur zu tief eingestellt, und fasste der Haken irgendwelche Hindernisse, die ihn auf starken Zug hin wieder frei gaben, oder waren hier die scheuen Döbel am Werk? Wir wussten es nicht, und lange Zeit wurden wir im Ungewissen gelassen, bis eines Tages, ja bis eines Tages folgendes geschah: Wir standen an einem schönen, klaren, noch recht frischen Apriltag an unseren gewohnten Angelplätzen.
Die Ausbeute dieses Morgens bestand bei jedem von uns bereits aus drei Rotaugen, und Dutzende von Lauben hatten unser Madenangebot, das für sie ja eigentlich gar nicht bestimmt war, dennoch nicht verschmäht, so dass wir voller Wehmut an die ungekochten Weizenkörner zu Hause dachten. Wieder einmal wurde meine Pose nach unten gezogen, und ich überlegte gerade, ob das nun die 30. oder die 31. Laube sei, die meine Nerven auf die Geduldsprobe stellen wollte, als meine Rute nach dem automatisch gesetzten Anhieb bei straff gespannter Schnur in einer artigen Verbeugung stehen blieb. Wieder ein Hänger?! Nein, irgendetwas zog wie ein schwerer Koffer einmal stromauf und dann wieder stromab. Ein Fisch, kein Zweifel - was für ein Gefühl! Es hielt alles, Schnur, Vorfach, Haken, und nach bangen Sekunden oder Minuten, in denen ich verzweifelt nach einem Kescher schrie, durchbrach ein rundes, weit geöffnetes Fischmaul, in das mit Leichtigkeit eine kleine Kinderfaust hineingepasst hätte, den Wasserspiegel, gezogen und an der Oberfläche gehalten von meinem 11 er Haken und dem daran befestigten 18 er Vorfach. „Kescher, Kescher!“, rief ich weiterhin in der berechtigten Angst, diesen Prachtdöbel am Ende doch noch zu verlieren. Der heiß ersehnte Kescher allerdings lag brav zusammengeklappt im Kofferraum unseres Autos. Zwar war mein Partner nach meinen ersten desparaten Hilferufen sofort dorthin geeilt, um den Begehrten zu holen, doch vergingen mit seiner Rückkehr, dem Aufklappen des natürlich Verhedderten und dem schließlich gekonnten Unterfangen noch einige für mein gestresstes Nervensystem doch reichlich strapaziöse Augenblicke. Aber dann lag er im Gras vor mir,mein erster Döbel! Und was für einer! Ich konnte mich gar nicht satt sehen an seinem so klar gezeichneten Schuppenkleid, an den messingfarbenen Flanken,der fast rein weißen Unterseite, den rötlichen Flossen, den gold-irisierten Augen und der enormen Maulöffnung, die sich, wie nach Luft schnappend, immer wieder weit öffnete und dann wieder schloss. Es war der erste Döbel, den ich lebend sah, und was das Schönste daran war, ich, ich hatte ihn gefangen. Meine Begeisterung für ihn kannte keine Grenzen. Fast wäre sie ihm zum Verhängnis geworden, denn nach dem Hältern, Transportieren, Vermessen, Wiegen, Fotografieren und immer wieder Bewundern zeigte er im endlich erreichten Wasser unseres Teiches doch erhebliche Schlagseite, begleitet von unkontrolliert zuckenden Schwimmbewegungen. Fast hatte ich schon die Hoffnung aufgegeben, auch ihn zu den Bewohnern unseres Gewässers zählen zu dürfen, als er sich nach langen Minuten dann doch aufrichtete und  nach einigen weiteren Torkelbewegungen schließlich zielstrebig in die Tiefe zog. Sein Gewicht betrug übrigens 3 Pfund und 80g. Von der Schwanzspitze bis zum Maulende maß er stolze 53 cm. Erst auf den entwickelten Fotos erkannte ich, dass er ein unverkennbares Merkmal trug: es fehlten ihm völlig die Bauchflossen! Statt ihrer wies er nur einige leicht rosa eingefärbte Schuppen auf. In meiner Begeisterung und wohl auch deshalb, weil er ansonsten gut und vollkommen  normal entwickelt war, hatte ich diesen Mangel schlicht weg übersehen.

In der Folgezeit konnten wir mit jenen scheuen Gesellen unserer Gewässer noch manchen Hakenkontakt aufnehmen, der wechselweise einmal zugunsten der einen und dann wieder der anderen Seite ausging. Pro Angeljahr fängt aber jeder von uns höchstens seine vier oder fünf Döbel. In den anderen Fällen obsiegt die Schläue und Raffinesse der „Dickköpfe“.

Das Umsetzen meines ersten Döbels in unseren Teich hatte übrigens noch ein Nachspiel. Zwei Jahre später nämlich, anfang September, fing ich im dämmrigen Abendlicht mit treibender Brotkruste, die eigentlich für einen Karpfen ausgelegt war, einen starken Döbel, der mir bekannt vorkam: es fehlten ihm die Bauchflossen. Mein alter Bekannter wirkte größer und hatte wohl auch an Gewicht zugelegt. Ich entließ ihn mit dem wohlmeinenden Wunsch, weiter zuzunehmen an Stärke, Alter und Weisheit, wieder in sein Element.

Ab und zu sehe ich ihn, wenn er zusammen mit anderen, ebenfalls von mir eingesetzten Gefährten im Sonnenschein bei ruhigem Wasser knapp unter der Oberfläche steht und auf ein Insekt wartet, das möglicherweise von den überhängenden Erlenzweigen herabfällt. Ich weiss, dass ich ihn mit einem solchen, an der Tippangel montiert, mit etwas Glück und der nötigen Sorgfalt wohl wieder fangen könnte, - aber tut man das mit alten Freunden und Bekannten?!















Hecht                                                Angelgeschichten