Barsch

 

In den Anfangstagen meines Anglerdaseins fischte ich noch mit geliehenem Gerät, das mir ein Glied meiner Gemeinde, das von der Angelleidenschaft nicht mehr oder zumindest nicht mehr so besessen war wie ich, freundlicherweise zur Verfügung stellte. Auch mein Schwager verfügte über ein paar ungenutzte Angelutensilien, die meinen Anfangsbestand an Gerät ergänzten. Es dauerte aber gar nicht lange, bis unter dem Weihnachtsbaum und auf dem Geburtstagstisch die ersten viel sagend langen und viereckigen Päckchen und Pakete lagen, die jeder Angler so sehr schätzt. Nach und nach sammelte sich dann auch bei mir im Laufe der Zeit die gleiche überreichliche Ausstattung an, die für jeden an die Angelei rettungslos Verlorenen charakteristisch ist und die nach jedem Besuch im Angelsportgeschäft, bei dem man ja eigentlich gar nichts kaufen sondern „bloß einmal gucken“ wollte, an Umfang zunimmt. Langsam aber immer eindringlicher stellte sich die Frage: Wohin mit dem ganzen Kram?!

Im Kellergeschoß unseres Pfarrhauses befindet sich eine alte ehemalige Waschküche, die bei der letzten Renovierung vor unserem Einzug ihres altertümlichen Waschkessels beraubt und stattdessen mit einem neuen Wasseranschluss, elektrischem Strom, Heizung und einem reichlich großen Ausgussbecken versehen worden ist. Eigentlich ein idealer Aufbewahrungsraum für Ruten, Kescher, Kästen, Taschen, Rutenhalter und all die vielen Dinge sonst, ohne die ein richtiger Angler nun einmal nicht leben kann. Außerdem konnten hier die gefangenen Fische versorgt werden, so dass die Küche des Hauses sauber bleiben konnte. Nach einigen Auseinandersetzungen mit der Chefin des Hauses, die schließlich einsehen musste, dass sie gegen die lebensnotwendigsten Bedürfnisse eines passionierten Anglers machtlos war, durfte dieser Kellerteil seiner zugedachten Funktion als Wäschetrockenraum enthoben werden. Die Umfunktionierung zum Anglerparadies konnte beginnen.

Zuerst verkleidete ich die kahlen, kalkgetünchten Wände mit so genannten „Schwarten“, die ich von einem benachbarten Sägewerk bezog und die gegen Feuchtigkeit mit gelb eingefärbtem Bootslack geschützt wurden. Allein durch diese Holzverkleidung gewann der Raum bereits die Atmosphäre einer gemütlichen Blockhütte. An der von Fenstern und Tür freien Längswand fanden waagrecht übereinander gehängt die Ruten ihren Platz, flankiert von Keschern und Rutenhaltern auf der linken sowie von Futteralen, Gaff und Watstiefeln auf der rechten Seite. Die Innenseite der massiven Eingangstür dient seitdem als Garderobe für die unentbehrliche Allwetterbekleidung. Bergschuhe, Wander-, Gummi- und Thermostiefel stehen in der Ecke daneben. Ein stabiles Metallregal trägt Angeltasche, Gerätekästen, Präparierutensilien und Schachteln mit Krimskrams, ein anderes - aus asiatischem Rohr gebaut - bietet Platz für Kataloge, Fotokasten, Fischbilder, Dia-Magazine usw.

In den beiden tiefen Fensternischen bilden die gesammelten Jahrgänge der Fachzeitschriften sowie die Bände der übrigen Angelliteratur ordentliche Reihen. Zur weiteren Verschönerung des Raumes tragen an den Wänden Aufnahmen von Gewässern und Fischen, Zeichnungen mit Szenen aus dem Anglerleben, ein bunter Wandteppich und an den Fenstern schön rot-weiß karierte Vorhänge bei.

Ein altes, ehemals unansehnlich gewordenes Wandbord hat nun, knallrot gestrichen, die Aufgabe übernommen, Gläser und Flaschen zu tragen, und erinnert so daran, dass nicht nur die Fische sondern auch deren Bezwinger gelegentlich etwas Flüssigkeit brauchen. Ein einfacher Holztisch mit zwei ebensolchen Stühlen komplettiert zusammen mit einem gebrauchten Läufer für den Boden und einer Ansammlung geerbter antiker Ruten in der letzten freien Ecke die Einrichtung.

Glanzstück meines Angelkellers ist und bleibt natürlich die Trophäenwand, die dem Ganzen erst die richtige Note verleiht. Ihre Beschreibung muss ich mir aber, um nichts vorwegzunehmen, notgedrungen für später aufheben.

Ein für mich sehr wichtiges, wenn auch unscheinbares Detail meines Angelkellers muss hier unbedingt noch Erwähnung finden. Es ist ein kleiner eiserner Riegel an der Innenseite der Angelkellertür. Wenn ich ihn zuschiebe, bedeutet das für mich, dass nun alles, was mit der Fischerei und mit der Natur nichts zu tun hat, ausgeschlossen ist und mich für die Zeit, in der ich hier Ruhe und Entspannung suche und finde, nicht berührt. Die Familienangehörigen im Haus wissen und respektieren das. So habe ich die wunderbare Möglichkeit, auch drinnen „draußen“ zu sein.

Doch nun endlich wieder zurück zum Fischen! Vom Barsch sollte die Rede sein. Gleich neben der Barbentrophäe hängt auf seinem Birkenbrett mit steil aufgerichteter Stachelrückenflosse das Vorderteil eines gut pfündigen Flussbarsches an der Wand. Obwohl der Barsch immer wieder als der Fisch des Junganglers und der frühen Angeljahre bezeichnet wird, hat es bei mir ziemlich lange gedauert, bis ich zu dieser ersten guten Trophäe kam.

In unserem heimischen kleinen Teich, der aufgrund seiner schönen Lage ebenfalls ein kleines Anglerparadies ist, tummelten sich unter den Blättern der gelben Teichrosen und des schwimmenden Laichkrautes unzählige kleine Bärschlein, die nur mit Mühe die Länge eines Mittelfingers erreichten. Beim Anblick solcher Mengen von Jungfischen drängte sich mir unwillkürlich immer die Frage auf, ob es denn in unserem Gewässer größere Barsche gab, die ablaichten, oder ob die braven Wildenten den Laich von anderswo mitgebracht hatten. Lange Zeit gab es auf diese Frage keine schlüssige Antwort. Beim Angeln mit Laubwürmern auf Schleien und andere Friedfische kam es häufig vor,dass selbst bei bewusst groß gewähltem Haken diese kleinen gierigen Räuber anbissen und den für sie eigentlich überdimensional großen Haken schluckten. Für die meisten von ihnen war dann - ebenso wie bei den kleinen Kaulbarschen - eine glückliche Rettung nicht mehr möglich. Andererseits scheute ich mich aber auch oft davor, das sich wiederholende plötzliche Zucken, Verschwinden und Wiederauftauchen der leichten Pose mit einem sofortigen Anhieb zu quittieren, weil solche Schwimmerbewegungen genau denen entsprachen, die eine unschlüssig am Köder herum nuppelnde Schleie hervorrufen kann. So hatte ich wiederholt Minibarsche beider Spezies am Haken. Woher sie kamen blieb indes unklar bis zu dem Tag, an dem mich die beiden Rentner, die in der Nähe unseres Teiches hingebungsvoll ihre Gärten pflegten und bebauten, schon von weitem wild gestikulierend  begrüßten und mir klar zu machen versuchten, dass ein großer Fisch - ein Hecht, wie sie meinten - verendet im flachen Uferwasser läge. Ich beschleunigte meine Schritte und sah, am Teich angekommen, sofort an der gedrungenen Körperform des Fisches, dass es sich in keinem Fall um einen Hecht handeln konnte. Dafür war der an den Teichrand gespülte Schuppenträger zu kurz und zu breit. In Erwartung, einen toten Spiegelkarpfen vorzufinden, stieg ich die steile Böschung hinab. Wieso aber hatte ein Karpfen ein so weit auseinander stehendes Maul? - Als ich unten angekommen war, wusste ich des Rätsels Lösung. Vor mir im seichten Wasser lag, schon halb in Verwesung übergegangen und deshalb auch nur noch einheitlich weißlich-gelb gefärbt ein verendeter kapitaler Flussbarsch von schätzungsweise 2-3 Pfund Gewicht - einst ein herrlicher Fisch und was für ein schmerzlicher Verlust!  - Nur wenige Wochen danach fing ein Gastangler an unserem Teich einen weiteren Flussbarsch von 40 cm Länge. Damit war dann auch die Frage nach der Herkunft der vielen Jungbarsche ein- für allemal geklärt.

Weiteres Barschfischen am Waginger See und am Main bescherte mir ebenfalls nur jugendliche oder verbuttete Exemplare, wenn auch Kaulbarsche von über 20 cm darunter waren, was für diese Fischart schon eine gute Größe darstellt. Meistens fing ich sie als Beifang beim Aalangeln. Einmal war auch ein Flussbarsch von 25 cm dabei. Er blieb lange Zeit mein bester dieser Art, was deshalb besonders enttäuschend war, weil wir des öfteren gute, weitaus größere bis starke Barsche direkt vor unseren Füßen im Schatten der überhängenden Zweige  rauben sahen.. Es war zum Verzweifeln: allem Eifer zum Trotz fingen wir keinen von ihnen.

Zu Ende des vergangenen Jahres erhielten mein Partner und ich eine Einladung zum Zanderangeln an einem ehemaligen Kiessee. Am vierten Angeltag dort, nachdem wir schon wie in den Vortagen einige Regenbogenforellen gestippt hatten, beköderten wir  unsere Grundruten mit etwa 10 cm langen toten Karauschen, um damit Zander zu fangen. Es war aber noch Vormittag, und wir hatten  trotz bedecktem Himmels kaum Hoffnung auf Erfolg. Wieder waren es schöne Regenbogner, die uns durch ihr Beißen an der Posenangel die Zeit verkürzten. An den Zanderangeln tat sich überhaupt nichts. Obwohl der Kalender den Tag des Heiligen Nikolaus anzeigte, war es angenehm mild und der dicke Parka schon abgelegt.

Mit einem Male bemerkte ich, dass die Schnur meiner Grundangel nicht mehr in losen Klängen vor der offenen Rolle hing, sondern straff gespannt von der Rutenspitze aus ins Wasser lief. Bewegung war dabei nicht wahrzunehmen, aber verdächtig schien mir die Sache schon zu sein. Rasch nahm ich die Rute auf und hieb an. Der Widerstand war nicht allzu groß, und ich wusste nicht, stammte das Gewicht nur vom Grundblei und dem kleinen Köderfisch her, oder hatte ich da etwas mehr, ein paar Wasserpflanzenstängel vielleicht, mit gehakt. Verdrossen kurbelte ich weiter, bis plötzlich kurz vor dem Ufer Leben in die Schnur kam. Etwas zog hin und her. Also doch ein Fisch! Nach einigen weiteren Kurbelumdrehungen sah ich ihn: schwärzlich gestreift, mit blau-grünem Rücken, silbernem Bauch und blutroten  Brust- und Bauchflossen. Ermattet legte er sich auf die Seite. Aus dem weit geöffneten Maul ragte die Köder-Karausche noch ein Stück weit hervor. Sankt Nikolaus hatte mir zwar keinen Zander aber einen herrlichen Barsch beschert, den schönsten, den ich bisher gesehen hatte. Mit einem kräftigen „Petri Heil!“ beglückwünschte mich mein Partner zu meinem ersten guten,39 cm langen Barsch. Der Zeiger unserer Küchenwaage blieb später bei genau 550g stehen. Seine Trophäe ist es, die den Nachbarplatz neben der Barbe in meinem Angelkeller eingenommen hat.

Und wie es oft so ist: jahrelang fängt man keinen ordentlichen Fisch einer gewünschten Art, und dann wieder zwei fast gleich gute derselben Spezies kurz hintereinander. Nur wenige Tage später zog nämlich beim Hechtangeln an unserem Teich ein möglicher Zwillingsbruder des zuerst Gefangenen ein kleines Rotauge mitsamt seinem Hechtschwimmer in die Tiefe.

Auch er maß genau 39 cm und wog ebenfalls etwas mehr als ein Pfund.

Was außer der Freude über diese beiden geglückten Fänge bleibt, ist natürlich die Hoffnung, einmal ein wirklich kapitales Exemplar der Gattung „perca fluviatilis“ zu erbeuten.



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