Aal

 


Die erste Begegnung mit diesem schlangenähnlichen Fisch machte ich beim Karpfenangeln am Baggersee. Mein Haken lag mit Tauwurm beködert auf Grund weit draußen im See. Ich hoffte auf einen guten Karpfen oder eine schöne Schleie, wie sie mir hier schon des öfteren an den Haken gegangen waren. Das Wasser war angenehm warm, aber es blies ein heftiger Wind, der den Regen mehr von der Seite als von oben kommen ließ. Langsam wurde es - obwohl mitten im Juli - kühl, feucht und ungemütlich. Gerade überlegte ich, ob ich nicht doch lieber Schutz in der Hütte suchen sollte, als plötzlich Leben in meine Rute kam. Die Spitze ruckte einige Male heftig nach unten. Schnur wurde dabei jedoch kaum abgezogen. Ich wußte sofort, dass es sich hier weder um einen Karpfen noch um eine Schleie handeln konnte, und in mir stieg plötzlich die Hoffnung auf, vielleicht meinen ersten Aal landen zu können, hatte ich doch schon vereinzelten Aalfängen in diesem Gewässer gehört. Während das für mich ungewöhnliche Rucken in der Rutenspitze anhielt, nahm ich Schnur auf, bis ich Widerstand fühlte, und schlug an. Dieser war anfangs recht kräftig, um beim Weiterkurbeln aber dann so gering zu werden, dass ich schon glaubte, den Fisch verloren zu haben. Zum Glück wurde er darauf aber wieder stärker. Ich wusste damals noch nicht, dass diese Erscheinung für den Drill kleinerer Aale typisch ist und von den wechselnden Schlängelbewegungen her rührt, die der Fisch beim Herandrillen vollführt, und so eben einmal viel und dann wieder weniger Widerstand bietet. Ich war mir ja auch überhaupt nicht sicher, ob ich wirklich den schon oft gewünschten Aal an der Angel hatte. Allein das seltsame und mir bis dahin unbekannte Verhalten des Gehakten bestärkte meinen Verdacht und nährte gleichermaßen meine aufkommende Freude und Hoffnung.

Als nur noch wenig Schnur im Wasser war, sah ich in der trüben Tiefe vor mir plötzlich etwas weiß aufblinken. „Sollte es doch nur wieder eine der eingesetzten Regenbogenforellen sein?“, schoss es mir durch den Kopf. Aber dann hatte ich Gewissheit: vor mir auf der Wasseroberfläche wand sich in schier endlosen Schlingen und Schlieren mein erster Aal. Mit hellem Jubel im Herzen hob ich ihn aus dem Wasser und ließ ihn weit hinter mir in den nassen Sand gleiten. Schnell den Fischlappen zur Hand und beherzt zugefasst,und zum ersten Male spürte ich durch das Tuch hindurch das kräftige Hin- und Herwinden eines Aales.

Mit vor Aufregung zitternden Händen löste ich mühsam den Haken, und dann konnte ich nicht anders: ich musste meinen ersten Aal den anderen Anglern zeigen! Und so lief ich voller Stolz von einem zum anderen, immer das sich windende Tier mit dem Tuch in den Händen haltend. - Das etwas mitleidige und nachsichtige Lächeln einiger älterer Mitangler übersah ich dabei vor lauter Begeisterung. Nun ja, rekordverdächtig war mein Fang nun auch bestimmt nicht. Er wog bei genau 51 cm Länge nur ein gutes halbes Pfund, wie sich später herausstellte. Aber das war mir damals völlig gleichgültig. Wichtig war: ich hatte meinen ersten Aal gefangen!

An diesem Tag meinte es Petrus wohl besonders gut mit mir - vielleicht hat ihm auch meine so naive Freude gefallen - denn nur etwa eine halbe Stunde später konnte ich meinen zweiten Aal an Land ziehen. Er war sogar noch etwas schwerer und fast 10 cm länger als der erste, aber mehr Freude als dieser konnte er kaum bereiten. Inzwischen habe ich etliche Aale gefangen, zunächst noch an jenem Forellensee, dann an meinem Urlaubssee in Bayern und schließlich auch im Fluss, dem Main.



Seit einigen Jahren verbringen meine Familie und ich unseren Sommerurlaub am Waginger See. Der See ist als besonders warm und fischreich bekannt. Leider sind seine Ufer so stark mit Schilfrohr, Sumpfbinsen und der schönen gelben Teichrose bewachsen, dass man nur schwer einen freien Zugang zum Wasser findet. Die wenigen Bootsstege sind zumeist in fester Hand. Nach etlichen Inspektionsgängen im ersten Urlaubsjahr dort habe ich aber dann doch einen guten Angelplatz gefunden:“Meine Bucht“. In „meiner Bucht“ kann ich, auch ohne mich mit einem Boot abmühen zu müssen, mit Watstiefeln bis über den Knien im Wasser stehend der geliebten Angelei nachgehen. Zum Ablegen der Grund- und Stipprute habe ich mir  deswegen eigens lange Rutenhalter anfertigen lassen.

Meine Bucht wird nach hinten zum Ufer hin von mehreren hohen Eschen abgeschirmt, die sowohl einen vorzüglich deckenden Hintergrund als auch einen ausgezeichneten Regenschutz darstellen. Zu beiden Seiten rechts und links bilden Schilf und Binsen einen dichten Ufergürtel, dem Teichrosenfelder vorgelagert sind. Vor mir zum See hin befindet sich eine zwei bis drei Meter breite Gasse, die völlig pflanzenfrei ist und in der mühelos geangelt werden kann. Bedingt war diese Lücke einst durch einen langen Bootssteg, der sich hier einmal in den See geschoben hat und dessen nun völlig versunkene Reste im klaren Wasser aber noch deutlich zu erkennen sind. Nach einigen Metern Flachwasserzone fällt das Ufer steil zur ersten Schar ab. Dort liegt mein Angelplatz für Friedfische und draußen vor den Teichrosen der für Aale. Dass und wie man auch innerhalb der Teichrosenfelder erfolgreich angeln kann, habe ich erst viel später gelernt.

Als ich an jenem ersten Angelmorgen gegen 4.30 Uhr behutsam dort ins Wasser stieg, hatte ich von diesen Erkenntnissen allerdings noch keine Ahnung. Lediglich Vermutungen ließen mich meine Angeln platzieren. Gerade hatte ich im Dämmerschein des aufkommenden Morgens ein Wurmbündel mittels einer Seitenblei-Montage vor den Teichrosen versenkt und die Grundrute auf ihre Halter gelegt, war im Begriff, die Stipprute zum Auswerfen fertig zu machen, als ein schnarrendes Geräusch die Morgenstille durchbrach und mich aufschreckte. Es dauerte einen Augenblick, bis ich begriff, dass dieser Ton von der mit weicher Bremse eingestellten Rolle meiner Grundrute neben mir herstammte. Normalerweise ist dies ja wohl der schönste und am meisten erwartete Ton, den ein Angler vernehmen kann, allein, ich war einfach zu überrascht, als ich hörte und sah, wie von dieser Rolle so bald nach dem Auswerfen stetig Schnur abgezogen wurde. Die Stippangel hingelegt und die Grundrute aufgenommen, war eins. Mein Anhieb wurde mit kräftigem Widerstand quittiert, den Teichrosenblätter und -stängel noch verstärkten. Zuerst dachte ich an eine der starken Brachsen, die im See sehr zahlreich sind, aber wer beschreibt meine Freude, als ich nach kurzem, harten Drill wiederum das mir nun schon vertraute grau-weiße Geschlängel eines sich windenden Aales zwischen den Teichrosenblättern erkennen konnte. Mit 63 cm und einem dreiviertel Pfund war er mein stärkster bisher.

Noch sechsmal durfte ich an diesem Morgen das liebliche Geräusch der surrenden Rolle vernehmen, wenn es auch nur noch zweimal von Fischen der Gattung anquilla hervorgerufen wurde und es sich in den restlichen vier Fällen um mittlere Brachsen um die Ein-Pfund-Grenze handelte, die meinem Wurmangebot nicht widerstehen konnten. Bedenkt man, dass ich an der Stippangel noch einige Rotaugen fing und mir dazu noch eine gute Schleie abkam, so muss man zugeben, dass dies doch eine recht gute Bestätigung meiner rein theoretischen Überlegungen an einem mir bis dahin fremden Angelgewässer war.

In diesem ersten und in den darauf folgenden Jahren habe ich dort noch manchen Aal gefangen - je nach der Wärme des jeweiligen Sommers einmal mehr und einmal weniger, und natürlich waren dabei nicht alle gut. Es gab auch manchen „Schürsenkel“ darunter.


Durch diese Erfolge am künstlichen wie am natürlichen See entfacht, wurde der Wunsch in mir immer stärker, Aale auch im Fließgewässer zu fangen. Gemeinsam mit meinem Partner unternahm ich die entsprechenden Versuche am Main. Immer, wenn ich auf die oft an mich gerichtete Frage, wo ich denn eigentlich angele, den Main nenne, wird mir erstaunt entgegengehalten: „Sind denn da überhaupt noch Fische drin?!“ -  Ja, es sind noch Fische drin! - und zwar in einer solchen Anzahl und Artenvielfalt, wie ich es mir selbst nie vorgestellt hätte.

Den Beweis dafür, dass der Main auch den begehrten Aalen Lebensraum gewährt, erhielt ich schon an meinem allerersten Angeltag dort. Nach einem gemeinsam besuchten Sportfischerseminar hatte mich mein dort neu gewonnener Partner zum ersten Mal zum Angeln an den Main eingeladen. Wir waren gerade beim Rotaugenstippen, als plötzlich ein noch frisch aussehender, großer, ca. eineinhalb Pfund schwerer, toter Aal an uns vorbei trieb. Neugierig, was wohl zu seinem Tod geführt haben mochte, kescherte ich ihn und entdeckte hinter seinem Kopf eine quer verlaufende, etwa 1 cm breite Wunde mit scharfen Rändern, die wohl von der Schraube eines der leidigen Motorboote verursacht worden war. In mein Bedauern über das unrühmliche Ende dieses schönen Tieres mischte sich aber zum ersten Male die Hoffnung, auch hier im Main Aale fangen zu können. Bis es dann wirklich dazu kam, sollte jedoch noch eine lange Zeit mit vielen Fehlversuchen verstreichen, ehe wir dann nämlich die richtige Stelle im Fluss gefunden hatten.

Diese lag vor einer großen Flussbiegung und hatte uns zuvor nur unbedeutende Weißfisch- und Kaulbarschfänge gewährt, bis dann eines Tages im Juni bei hellem Sonnenschein und Schlag 12.00 Uhr mittags die Spitze meiner steil aufgerichteten Grundrute ins Wippen geriet und der anschließende Anhieb und Drill die typischen Bewegungen eines sich wehrenden Aales erkennen ließen. Auch er war - wie seine späteren Nachfolger - mit einem halben Meter Länge und etwa 200 Gramm Gewicht kein Riese, aber es war bewiesen: auch im Main ließen sich Aale fangen!




Unseren größten Mainaal fing zwar ich, aber er gehörte nicht mir, weil er nämlich an der Angel meines Partners hing. Und das kam so: Wir standen an unserem Angelplatz vor der Flussbiegung. Es war anfangs Juli und sehr heiß. Seit dem frühen Morgen, an dem die aufgehende Sonne erfolgreich gegen die einmal blau-violett und dann wieder gelb-orange leuchtenden Nebel über dem Wasser gekämpft hatte, war wenig geschehen. Die Stippangel hatte uns eine Palette kleiner Weißfische und die Grundangel ab und zu einen Kaulbarsch beschert. Ein kleines Mauswiesel war urplötzlich aus den hohen Brennesseln aufgetaucht und dem Inhalt meiner Angeltasche so nahe gerückt, dass ich das neugierige Tierlein mit einer Armbewegung vertreiben musste. Seit Stunden aber liefen die Schnüre unserer beiden Grundruten ungestört parallel zueinander in das träge fließende Wasser. Es wurde ein bisschen langweilig. Ich vertrieb mir die Zeit damit, im flachen Wasser unter den algenbewachsenen Ufersteinen mit der Hand kleine Flusskrebse zu fangen, und hatte soeben das dritte oder vierte Exemplar kribbelnd und zwickend in der Hand, als plötzlich freudiges Klingeln des Glöckchens an der Angel meines Partners den Biss eines Fisches ankündigte. Der anschließende Drill verlief nicht besonders aufregend, da es sich wiederum nur um einen kleineren Vertreter der Spezies Aal handelte, der am Wurmangebot Gefallen gefunden hatte. Während mein Angelfreund den Fisch vom Haken befreite, ihn versorgte und sich dann anschickte, Hände und Unterarme von den Spuren des schleimigen Gesellen zu säubern, wollte ich die Gunst der Stunde nutzen. Wir hatten längst festgestellt, dass ausgerechnet gerade die Mittagszeit hier an diesem Platz eine günstige Beißzeit für Aale darstellte. Daher nahm ich meines Partners Rute, zog einen frischen Tauwurm auf und platzierte ihn wieder dort, wo weitere Bisse zu erwarten waren. In der nächsten Viertelstunde aber tat sich zunächst nichts. Wir konzentrierten uns wieder auf die Stippangelei. Unser Anfutter, bestehend aus aufgeweichtem Brot, gekochten Kartoffeln und Paniermehl mit einem Schuss Duftöl, mit dem wir Rotaugen, Brachsen, Güstern, Hasel und leider auch sehr viele Lauben angelockt hatten, war nahezu aufgebraucht, und mein Begleiter begann damit, eine neue Mischung an zu kneten. Als er gerade im wahrsten Sinne des Wortes „alle Hände voll zu tun“ hatte, meldete sich plötzlich wiederum seine Grundrute, diesmal allerdings weit lauter schellend und unter starkem Hin- und Hergewippe. Da ihr Besitzer mit derart teigverklebten Händen nicht anschlagen konnte oder wollte, überließ er mir großzügiger weise diese angenehme Aufgabe. Sofort nach dem Anhieb bog sich die kräftige Gerte zu einem ansehnlichen Halbkreis. Ein schöner, fester Widerstand wartete darauf, überwunden zu werden. Trotz ziemlich fest angezogener Rollenbremse gelang es meinem unsichtbaren Konkurrenten dort draußen, stückweise Schnur abzuziehen. Es war ein herrliches Gefühl, einen so prächtig sich wehrenden Aal an der Angel zu haben. Denn nur um einen solchen konnte es sich handeln - so viel Gefühl dafür hatte ich damals schon.

Als er sich dann wenige Meter vor mir im Wasser wand, braun und gelb glänzend und nicht schwärzlich und grauweiß  wie die früheren, schwächeren, die wir bisher gefangen hatten, stand der Eigentümer der Rute mit inzwischen gereinigten Händen neben mir, so dass ich ihm seine Angel samt dem stattlichen Anhängsel übergeben und er auch noch ein Stück des Herandrillens seiner Beute genießen konnte. Diese war mit 60 cm relativ kurz, aber dick und gedrungen und zeigte alle Ansätze eines künftig kapitalen Raub-  oder Breitkopfaales. Er war und blieb unser bester Aal am Main bisher. Zwar gehörte er nicht mir, aber Anhieb und Drill wogen für mich genauso schwer, wie sein gutes Pfund Gewicht, das er meinem Partner auf die Waage brachte. Einmal mehr war geteilte Freude doppelte Freude!









Barbe                                                  Angelgeschichten